Wulfhard v. Grüner
Martin Luther, ein gebildeter und geschickter Musiker
Am 31. Oktober des Jahres 2017 begingen wir ein großes Jubiläum: 500 Jahre Reformation! Vor einem halben Jahrtausend hatte Martin Luther seine 95 kirchenkritischen Thesen verfasst. Zahlreiche Reformationsschriften Luthers sind seitdem in Umlauf, unzählige Bücher, Artikel, Anekdoten, Sprüche und Spekulationen gehen auf Martin Luther ein, seinen Werdegang, sein Wirken und die Verwicklungen in seine Zeit. Es war die Epoche der großen Entdeckungen, der Renaissance und des Humanismus, welche vielseitige und engagierte Persönlichkeiten wie Luther hervorbrachte, die wieder auf ihre Gegenwart zurückwirkten und darüber hinaus.
So ist Luther nicht allein der große Reformator oder derjenige, der die Bibel ins Deutsche übertrug, damit eine neuartige Religionsausübung ermöglichte und für die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Sprache bedeutendes leistete. Er wirkte auch auf Architektur und Bildende Kunst – der deutsche Begriff „Denkmal“ geht auf ihn zurück, und er war nicht zuletzt ein theoretisch gebildeter und praktisch geübter Musiker, der diese Kunst liebte, sie im Privaten sowie im gottesdienstlichen Umfeld ausübte, mit seinen Musikvorstellungen nicht nur eine neue Kirchenmusik anregte , sondern Einfluss auf die Entwicklung der europäischen Musikkultur nahm.
Schauen wir nur auf seine Tischreden /1/,so finden wir bereits manche Äußerung zum Thema. Dort heißt es z.B.:“Die Musik ist eine schöne, liebliche Gabe Gottes…Ihr ist der Satan feind, weil man damit viele Anfechtungen und böse Gedanken vertreibt…Sie hat mich oft so bewegt, dass ich Lust zum Predigen gewonnen habe.“
Bevor wir aber auf Luthers Beziehungen zur Musik im Einzelnen eingehen, d.h. auf seine musikalischen Prägungen, Auffassungen, Praktikern, Hinterlassenschaften sowie seinen musikalischen und nicht nur kirchenmusikalischen Einfluss, werfen wir noch einen Blick auf die Schmalkalder Geschichte, zählt doch Schmalkalden zu den Wirkungsorten des Reformators. So können wir bei dem Chronisten Geisthirt über die religionsgeschichtlichen Ereignisse im 16. Jahrhunderts lesen, über Luthers Aufenthalt in Schmalkalden und den Schmalkaldischen Krieg. Sein Einfluss blieb dort auch im Musikbereich nicht ohne Folgen, hatte sich doch nach der Reformation in der Region bald ein leistungsfähiger Stand protestantischer Kantoren und Organisten herausgebildet.
G.A. Obstfelder /2/ erstellte wertvolle Auflistungen der lutherischen Geistlichen (seit 1525), Kantoren (seit 1551) und Organisten (beginnend mit Kaspar Steuerlein), ferner der reformierten Geistlichen, Kantoren und Organisten , die in Schmalkalden gewirkt hatten (jeweils seit 1648).
Mit einigen der betreffenden Musiker haben wir uns in jüngster Zeit näher beschäftigt und die Ergebnisse z.T. schon in den Schmalkaldischen Geschichtsblättern zugänglich gemacht /3/. In übergreifenden Merkmalen und den Aktivitäten dieser Persönlichkeiten erkennen wir die Spuren Luthers. Sie sind hineingewachsen in ein lutherisch geprägtes Umfeld und bekennen sich zur Reformation, sehen die Musik als wichtigen Bestandteil des Gottesdienstes an, sind volksnah aber auch bildungsoffen, musikalisch-handwerklich leistungsstark, inhaltlich anspruchsvoll und traditionsbewusst. Sie fördern die Beteiligung der Gemeinde, insbesondere den Gemeindegesang und greifen neu entstehende musikalische Formen und Praktiken auf.
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Auf ausgewählte Ereignisse der lokalen Religionsgeschichte sei an dieser Stelle hingewiesen, zunächst auf das Einsetzen des ersten evangelisch-lutherischen Pfarrers in Schmalkalden schon im Jahre 1525, d.h. zur Herrschaftszeit des Landgrafen Phillipp I. von Hessen (1504 – 1567), der im Jahre 1530 auch die Augsburgische Konfession unterzeichnete, das Bekenntnis der lutherischen Reichsstände. Zu berichten wäre auch von Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, nicht allein mit katholischen Kräften, sondern gleichfalls das Aufkommen reformistischer Einflüsse betreffend /4/. So wissen wir von den „Verbesserungspunkten“ des Landgrafen Mauritius (Moritz; 1572 – 1632) /5/, von der Übernahme der reformierten Glaubensrichtung in der Landgrafschaft Hessen im Jahre 1605, wonach aber schon ab der Mitte des Jahrhunderts die lutherische und die reformierte Konfession nebeneinander existierten, wohl schon Ausdruck eines staatlichen Gebotes der Toleranz, das eher ein Kind der Aufklärung war, als der Reformation.
Benennen wir nun diejenigen Musiker in Luthers Nachfolge, welche in dieser Stadt oder in ihrer Nähe geboren wurden bzw. dort gewirkt haben, einbezogen in die historischen und damit die religionsgeschichtlichen Verwicklungen ihrer Zeit, so
– Johann Steuerlein (1546 – 1613) aus Schmalkalden, Sohn eines eifrigen Protestanten, der die Lateinschule in Magdeburg besucht hatte, wo er auch musikalische Anregungen empfing, der Rechtswissenschaft in Wittenberg studierte und u.a. als Stadtschreiber in Wasungen sowie als Schultheiß in Meiningen wirkte und daneben stets als Organist und Komponist tätig war, wobei er sich als Gefolgsmann Luthers verstand und dessen Lied „Wie herrlich ist der Maien“ noch heute im evangelischen Gesangbuch zu finden ist,
– Johann Caspar Simon (1701 – 1776) aus Schnellbach, der in Ohrdruf Unterricht bei Johann Christoph Bach ( 1671 – 1721) hatte, dem älteren Bruder Johann Sebastian Bachs (1685 – 1750), welcher wiederum ein Schüler von Johann Pachelbel (1653 – 1706) war; Simon brachte, besonders während seiner Organistenzeit in Nördlingen, Kantaten sowie Orgel- und Klaviermusik ein,
– Johann Nicolaus Tischer (1707 – 1773), vielbewunderter Organist pachelbelscher Ausrichtung und Komponist von Klaviermusik, Sonaten, Orchestersuiten, Kantaten und Motetten, besonders durch seine Klaviermusik in seinem Jahrhundert weit bekannt, ab 1731 Schloss- und Stadtorganist in Schmalkalden, wo er sowohl in lutherischen Gottesdiensten seinen Orgeldienst versah als auch in der reformierten Gemeinde, existierten doch zu seiner Zeit die beiden konfessionellen Richtungen nebeneinander in der Stadt,
– Johann Michael Bach (1745 – 1820) aus Struth, der als Schüler einer Lateinschule Erfahrungen bei der musikalischen Ausgestaltung von Gottesdiensten sammeln konnte und später selbst, besonders als Kirchenmusiker in Tann (Rhön) geistliche Motetten und Kantaten sowie Instrumentalkonzerte komponierte, bei denen sich Elemente des Galanten und des Empfindsamen Stils zeigten,
– Johann Gottfried Vierling (1750 – 1813) aus Metzels, Schüler Tischers in Schmalkalden und Kirnbergers (1721 – 1783) in Berlin und mit ihm eines Lehrers, welcher die Tradition Johann Sebastian Bachs hochhielt. Vierling selbst war ein verehrter Organist und Komponist u.a. von praktikablen Kantaten, Orgelstücken im Sinne der protestantischen Orgeltradition, Schöpfer von Unterrichtswerken und eines Choralbuchs zur Verbesserung des Kirchengesanges sowie zur Auseinandersetzung mit dem Parodieverfahren (Kontrafaktur), auch er natürlich
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betroffen von den damaligen stilistischen Strömungen, dabei wie sein Lehrer Tischer ein zu Lebzeiten bekannter Komponist und
– Bruno Leipold (1879 – 1948), Kantor, Organist und Lehrer in Schmalkalden , der sich als „bescheidenen Helfer der Reformation“ sah, gerne Luthers Texte verwendete und in dessen Sinne ein lebhaftes Gemeindeleben anregte. Bei sanglicher Melodik und überschaubarer Harmonik sollten seine Kantaten und Oratorien unter den örtlichen Bedingungen aufgeführt werden können. Er wollte der Gemeinde dienen, sie einbeziehen und religiöse Erbauung ermöglichen.
Nun aber zu Luther, zunächst zu seinen musikalischen Prägungen:
Hans und Margarete Luder waren aus Möhra bei Eisenach nach Eisleben gekommen. Sie stammten aus bäuerlichen Verhältnissen. Ihr Sohn Martin wurde wahrscheinlich am 10. November 1483 als erster oder zweiter Sohn der Eheleute geboren/6/. Die Familie zog bald nach Mansfeld, wo der Vater zunächst im Bergbau tätig war und dann eine Bergmannshütte zur Kupfergewinnung betrieb. In Mansfeld verbrachte Martin seine Kindheit; bald waren ihm mehrere Geschwister gefolgt. Hier erlebte er auch die damalige Gebrauchsmusik , ggf. auch Hausmusik im Elternhaus, handelte es sich doch um eine Zeit lebhaften und hochstehenden deutschen Volksgesangs, dessen weltliche Lieder und auch die geistlichen Lieder im Sinne von Laienfrömmigkeit meist mündlich aber zunehmend auch in Sammlungen weitergegeben wurden.
Ab 1491 besuchte Martin die Mansfelder Lateinschule. Bei dieser Schule handelte es sich um eine sogenannte Trivialschule, was bedeutete, dass besonders die Fächer des Triviums gelehrt wurden, Bestandteil der damals für die höheren Schulen verbindlichen „7 freien Künste“, von denen noch zu reden sein wird. Über die Fächer des Triviums hinaus nahm aber auch die Musik, d.h. musiktheoretische Unterweisung und musikalische Praxis einen wichtigen Platz an der Schule ein. Von einer Beschreibung der damaligen Schulverhältnisse im Einzelnen einschließlich der üblichen Züchtigungen sehen wir an dieser Stelle ab. Der Unterricht bot für Martin bei allem eine Basis, dies vor dem Hintergrund der schon erwähnten Haus- und Gebrauchsmusik. 1496 kam der Schüler an die Domschule nach Magdeburg, genannt die „Schule der Brüder vom gemeinsamen Leben“ und 1497 oder 1498 nach Eisenach, wo er Verwandte hatte und die „Städtische Pfarrschule“ „St. Georgen“ besuchte. Dort konnte er auch seine Lateinkenntnisse vertiefen. Für Magdeburg und Eisenach ist bekannt, dass die Zöglinge im Gottesdienst und in der Kurrende sangen, damals ein aus bedürftigen Schülern bestehender Chor, der unter Leitung eines Präfekten (eines älteren Schülers) vor den Häusern der Bürger gegen Entgelt auftrat, besonders bei Festen oder Beerdigungen.
Zur musikalischen Theorie und Praxis der genannten Schulen gehörten der traditionelle einstimmige Kirchengesang (Gregorianik) , auch mehrstimmige Musik nach den Gesetzen des Kontrapunkts und notiert in der sogenannten weißen Mensuralnotation, welche Tonhöhe und Tonlänge bestimmen konnte. In einem Eisenacher Schülerkreis um den Priester Johannes Braun erlebte Martin geselliges Singen mit Liedern und mehrstimmigen
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Motetten; einer freundlichen Witwe, bei der er wohnte, habe sein herzliches Singen gefallen – so ist es überliefert.
Ab 1501 studierte er an der Artistenfakultät der Universität Erfurt, einer im Gegensatz zu Wittenberg großen und lebhaften Stadt mit als modern geltender Universität. Dort wurden zunächst die schon genannten „7 freien Künste“ (Septem Artes Liberales) vermittelt. Sie waren erstmalig um 500 v. Chr. von Pythagoras formuliert worden und bestanden aus dem schon genannten Trivium, d.h. den 3 sprachlichen Fächern Grammatik (Sprachstruktur), Logik (vernunftmäßige Argumentation) und Rhetorik (die schöne Sprache), dann dem Quadrivium mit der Arithmetik (Lehre von den Zahlen), Geometrie (Ordnung des Raumes), Musik ( Musiktheorie, Harmonik) und Astronomie (auch Astrologie). Luther praktizierte in dieser Zeit aber auch das Lautenspiel, später das Querflötenspiel und erlebte die Musik als Mittel gegen Trübsinnigkeit und Düsternis.
Die musiktheoretische Lehre an der Universität Erfurt fußte damals auf Schriften des Jean de Muris aus dem 14. Jahrhundert, der sich seinerseits auf Augustinus und Boethius stützte, auf welche wir kurz eingehen wollen:
Aurelius Augustinus (354 – 430 n. Chr.) war ein römischer Gelehrter aus Nordafrika. Zunächst Anhänger der manichäischen Religion/7/, ließ er sich später christlich taufen. In seinen „Bekenntnissen“ finden wir einen leidenschaftlich nach Wahrheit und Weisheit suchenden Menschen. Er wurde Priester und Bischof von Hippo, das heute in Algerien liegt, , 1295 schließlich heiliggesprochen. Bei seinem Übertritt zum Christentum hatte der Einfluss des Mailänder Bischofs Ambrosius (339/340 – 397 n. Chr.) Bedeutung erlangt, dem auch die mittelalterliche Hymnentradition zugeschrieben wird. Neben zahlreichen anderen Schriften formulierte nun Augustinus in seinem sechsbändigen Werk „De musika“ die frühchristliche Musikanschauung, wobei er im Sinne der platonischen Erkenntnislehre davon ausgeht, dass
– sinnliches Wohlgefallen auf zahlhafte Strukturen zurückzuführen ist und damit Spuren der Vernunft im sinnlich Wahrnehmbaren Vergnügen auslösen können und der
– liturgische Gesang den Geist zur Frömmigkeit zu bewegen vermag.
Ambrosius und Augustinus standen zudem gegen eine führende Rolle des Bischofs von Rom (des Papstes) in der christlichen Welt und wirkten wohl auch in theologischer Hinsicht auf Luther.
Ein weiterer römischer Gelehrter wurde wichtig, Anicius Manlius Severinus Boethius. Geboren um 480 n. Chr. in einer angesehenen römischen Familie, nach umfassender Ausbildung war er später Konsul, Senator und beliebter Ratgeber des damaligen Königs von Italien, des Goten Theoderich . Vor dem Hintergrund von Auseinandersetzungen zwischen den Senatoren, religiösen Streitigkeiten, diplomatischen Verwicklungen mit dem byzantinischen Reich und wachsendem Misstrauen des Königs wurde er infolge von Verleumdung 523 des Hochverrats angeklagt und wahrscheinlich 524 hingerichtet, nach seinem Tode aber als Märtyrer betrachtet und von der katholischen Kirche als St. Severinus heiliggesprochen, dies obwohl er eher ein Philosoph war, als ein christlicher Heiliger.
Hervorzuheben ist sein ehrgeiziges Bildungsprogramm auf der Grundlage der Lehren von
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Platon (428/427 – 348/347 v. Chr.) d.h. seines Weges zur Erkenntnis und Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) mit seiner Logik und dem Umgang mit Fakten. Auch die Musiktheorie zählte zum Programm des Boethius. Sie galt als Wissenschaft von den Zahlenverhältnissen sowie als Brücke zur Philosophie und war Bestandteil des Quadriviums, wie seine Schrift „De institutione musica“ zeigt. Schon Pythagoras (um 570 – 497/496 v. Chr.) und später Augustinus hatten ja vertreten, dass Harmonie auf Zahlenverhältnissen beruht.
Martin Luther studierte also die „7 freien Künste“, wurde 1502 Bakkalaureus und 1505 Magister. Nach dem Willen des Vater sollte sich nun ein letztlich einträgliches Jurastudium anschließen. Martin entschloss sich aber bald nach Studienbeginn, tiefgründigen weltanschaulichen Auseinandersetzungen und dem Gelübde infolge eines einschneidenden persönlichen Erlebnisses, Mönch zu werden und in das Erfurter Augustinereremitenkloster einzutreten, eine Glaubensgemeinschaft, die auf den schon genannten Kirchenvater Augustinus zurückging. Dies rief den Zorn der Eltern und die Überraschung seiner Freunde hervor. Zuvor war er aber schon mit Theologen in Kontakt gekommen, die dem Augustinerorden nahestanden, so mit Johann von Staupitz (um 1465 -1524), Generalvikar des Augustinerordens, Professor an der Universität in Wittenberg und Luthers Beichtvater, der ihn förderte und später nach Wittenberg holte.
Natürlich beinhaltete der Eintritt in das Kloster auch, die Musikpflege des Ordens zu erleben, wo er sich insbesondere nach seiner Priesterweihe auch im Altargesang üben konnte, was Erfahrungen in der Beziehung von Sprache und Musik bedeutete.
Erst nachdem 1507 Luthers Priesterweihe erfolgt war, nahm er sein Theologiestudium auf, zunächst in Erfurt, 1508 bereits aber an der 1502 gegründeten Universität in Wittenberg, bald selbst mit Lehraufgaben beauftragt. Das Studium beinhaltete die damalige Glaubenslehre sowie die verbindliche Scholastik, d.h. die christliche Philosophie des Mittelalters, was über den Dominikaner Thomas von Aquin (1225/1226 – 1274) und sein Denksystem vom Zusammenhang von Theologie und Philosophie, von Glauben und Wissen auf die Lehren des Aristoteles aufbaute. Luther kam aber schon während des Studiums auch mit sogenannten Humanisten in Berührung, Vertretern einer in der Renaissance aufkommenden Geistesrichtung, welche die freie geistige Entwicklung des Menschen anstrebte. Ihrer Forderung „Zurück zu den Quellen“ folgte Luther, die Bibel nicht nur in Latein, sondern auch in Griechisch und Hebräisch zu studieren. Später hatte er Kontakte zu Humanisten wie Ulrich von Hutten (1488 – 1523), Johannes Reuchlin (1455 – 1522), dessen Studien zur hebräischen Sprache für die Übersetzung des Alten Testaments wichtig wurden und Erasmus von Rotterdam (1466/69 – 1536), von dessen griechischer Druckausgabe des Neuen Testaments er profitierte, sich jedoch später aus theologischen Gründen von dessen Denkweisen abwendend /8/.
Nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie im Jahre 1512 in Wittenberg erhält Luther dort die Professur für Bibelauslegung, die zuvor Johann von Staupitz innegehabt hatte und wird bald auch Prediger an der Stadtkirche. Sie war neben der Schlosskirche und der Universität Träger des Wittenberger Musiklebens. Bis 1525 wirkte dort aber auch noch die
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sächsisch-kurfürstliche Hofkapelle, welche den Kurfürsten an seine verschiedenen Residenzen und so auch nach Wittenberg begleitete. Zudem erlangte Luther Kenntnis der seit der Mitte des 15. Jahrhunderts mit der Entfaltung des Stadtbürgertums zahlreicher werdenden und der Hausmusik dienenden Liedsammlungen, z. B. der Limburger Chronik (14. Jahrhundert), der Colmarer Liederhandschrift oder des Lochamer Liederbuchs (15. Jahrhundert) sowie von einer Form bürgerlich-handwerklicher Musikpflege in süddeutschen Reichsstädten, dem Meistersang. Die Meistersinger hatten vom Minnesang profitiert. Sie sangen neue Texte biblischen oder auch volkstümlichen Inhalts auf vorhandene Melodien (sogenannte „Töne“), schufen im 16. Jahrhundert aber unter Einhaltung strenger Gesetze und beginnend in Nürnberg eigene Lieder, deren Versform in der Regel aus der sogenannten Barform (Stollen, Stollen, Abgesang) bzw. aus der Reprisenbarform bestand, bei welcher ein Stollen am Schluss nochmals wiederholt wird. Die Tonhöhe wurde notiert in sogenannten Tabulaturen wie sie sich z.B. in der Colmarer Liederhandschrift finden, während der Rhythmus dem Text folgt /9/. Der bedeutende Meistersinger Hans Sachs (1494 – 1576) war über Luthers Aktivitäten informiert. Als prolutherischer Sprecher einer breiten bürgerlichen Mittelschicht begrüßte er Reformation und Reformator mit einem Lobgedicht über „Die Wittenbergische Nachtigall, die man yetz höret überall“ /10/.
Ferner ist davon auszugehen, dass Luther die damals kunstvolle geistliche und weltliche Musik kannte, z.B. die niederländische Vokalpolyphonie von Jacob Obrecht (1450/51 – 1505) /11/ und das Schaffen weiterer zeitgenössischer Komponisten wie Adam von Fulda (1445 – 1505), Heinrich Finck (1445 – 1527), Heinrich Isaak (um 14150 – 1517) /12/, Josquin Desprez (um 1450 – 1521) /13/, Paul Hofheimer(1459 – 1537) , Pierre de la Rue ( um 1460 – 1518) oder Ludwig Senfl (1486 – 1542/43).
Ausgehend von der eigenen Sündhaftigkeit und göttlicher Gnade erkannte Luther, dass seine Mitpriester, seine Lehrer und seine Kirche der Veränderung bedurften. Er formulierte dies in den bekannten 95 Thesen, die er nach der Überlieferung eigenhändig an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben soll, jedenfalls aber an Albrecht von Brandenburg gesandt hatte, den Erzbischof der Diözese Magdeburg. Darüber, sowie über seine reformatorischen und darüber hinausgehenden Leistungen und zeitbedingten Grenzen und Widersprüche, seine inneren Kämpfe und seine Ambivalenz sowie die Auseinandersetzung mit Autoritäten gibt es, wie schon gesagt, eine Fülle an Literatur, auch angesichts unseres Jubiläums viele Veranstaltungen, Gesprächsrunden und Veröffentlichungen. Gegenstand ist Luthers theologischer Streit mit katholischen und reformistischen Kräften oder seine Auffassungen zu menschlicher Freiheit und Würde, seine Freiheitsvorstellung auf biblischer Grundlage und gegen angstmachende Moral. Von Interesse ist auch seine Beziehung zu revolutionären Bewegungen seiner Zeit und weltlichen Mächten, wie Friedrich von Sachsen oder Philipp von Hessen mit seiner problematischen Zweitehe. Nicht zuletzt geht es aber um seine Heirat mit der Nonne Katharina von Bora (1499 – 1552) und sein Familienleben im ehemaligen Schwarzen Kloster zu Wittenberg. In der Diskussion sind Luthers Äußerungen zu Judentum und Islam, was in der Vergangenheit
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dazu führte, dass politische Kräfte, wie die Nationalsozialisten, sich auf Luther beriefen. Da mag heute die Gefahr bestehen, Zusammenhänge des 16. Jahrhunderts mit Merkmalen unseres „Zeitgeistes“ zu werten. Wir sollten aber wissen, dass Luther zunächst eine gewaltfreie Judenmission vertrat und erst nach Misserfolgen davon abrückte und 1529, nach militärischen Erfolgen des osmanischen Reiches auf dem Balkan und der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1453 ein türkisches Heer nun die Stadt Wien belagerte, die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Unser Reformationsjubiläum birgt zudem die Gefahr einer naiven Lutherverehrung, die Übertreibung mit Lutherfigürchen, Luthersocken, Lutherbonbons, Lutherkeksen, Lutherballons bis hin zu Theologie auf Bierdeckeln, Bestandteile eines „Events“, um dieses aus dem Englischen übernommene Wort für ein Ereignis zu Marketingzwecken zu benutzen.
Wir bleiben bei Luthers Beziehung zur Musik, einem Thema, welches jedoch schon innerhalb der literarischen Hinterlassenschaft Luthers und auch in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Reformation eher im Schatten anderer Inhalte steht und benennen zusammenfassend nochmals die wesentlichen Berührungspunkte, so
– das Erleben der zu seiner Zeit üblichen Gebrauchsmusik, – musiktheoretische Unterweisung und musikalische Praxis an der Lateinschule in Mansfeld,
– musikalische Theorie und Praxis an der Domschule in Magdeburg und der Städtischen Pfarrschule in Eisenach, Beteiligung an der Kurrende an diesen Bildungsstätten und geselligem Singen in einem Eisenacher Schülerkreis,
– Erlernen und Praktizieren des Lauten- und Querflötenspiels,
– Studium an der Universität Erfurt, was auch die Musik als wissenschaftliches Fach einschloss
– Erleben der Musikpraktiken des Augustinerordens und
– Kenntnis der gängigen Liederbücher, der Aktivitäten der Meistersinger sowie der kunstvollen geistlichen und weltlichen Musik der Zeit.
Aus dieser Erfahrungs- und Informationsfülle und in Beziehung zu seinen theologischen Studien und Erkenntnissen entwickelte sich Martin Luthers Musikauffassung. Er betrachtete Musik als Transzendenz hin zum Übernatürlichen, d.h. die Grenzen der sinnlichen Erfahrung überschreitend, damit als Abbild der himmlischen Ordnung, die bereits der Schöpfung innewohnt und sieht ihre Aufgabe darin, „vom Himmel verstehbares Zeugnis zu geben“ /14/.
Die Gemeindebeteiligung war ein wichtiges Merkmal der Reformation, galt doch der Gemeindegesang als Mitverkünder der frohen Botschaft, gleich nach der Bibel und neben der Theologie, die Gemeinde also nicht nur als hörendes Publikum.
Die Musik ist für Luther, der selbst oft emotional empfand, „die Regiererin aller Bewegung des menschlichen Herzens“, „reines Geschenk und eine Gabe Gottes. Sie vertreibt den Teufel, sie macht die Leute fröhlich… /15/, und man vergisst über sie alle Laster“ /16/. An anderer Stelle heißt es: „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig,
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die Verzagten herzhaftig zu machen, den Neid und Hass zu mindern – als die Musik“ /17/. Er erkannte also, dass sich ein Mensch beim Singen verändert, dass die Schrecken von gestern und die Sorgen von morgen zurücktreten, dass sich seine Stimmung hebt und er auch offener für das Anliegen des Gottesdienstes wird, womit sie „den sündigen Büßer in die Freude über Gottes Gnade“ führt /18/, und Luther sieht: “ Viele Samen guter Eigenschaften stecken in den Gemütern, die von der Musik ergriffen werden…“ /19/. Eine weitere Äußerung aus den“ Tischreden“, die Luthers persönlichen Umgang mit Musik betrifft, mag dies noch ergänzen: „Wenn ich in Gedanken bin, die das weltliche oder Hausregiment betreffen, so nehme ich einen Psalm…und schlafe darüber ein /20/. Schließlich trauen wir ihm auch die folgende, ihm zugeschriebene Äußerung zu:“Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang.“ /21./
Luther strebte Bildung für alle an, damals nicht selbstverständlich auch für Mädchen. So achtete er den Schulmeisterstand und erwartete, dass ein Lehrer und natürlich auch ein Prediger singen kann /22/. Hierzu äußerte er: „Man muss die Musik unbedingt in den Schulen behalten. Ein Schulmeister muss singen können, sonst sehe ich ihn nicht an“ /23/.
Luther schätzte überhaupt den pädagogischen Wert der Musik im Sinne von Freude und Lust bei der Vermittlung, ihre Rolle bei der Volksmission als Teil des lebendigen Wesens des Evangeliums, das nicht nur durch die Predigt, sondern auch durch die Musik einschließlich der Instrumentalmusik und dies nicht nur als Träger eines Textes weiter gegeben werden kann.
Im Jahre 1530, als während des Reichstages in Augsburg das evangelische Glaubensbekenntnis verlesen und durch den Kaiser Karl V. angenommen werden sollte, hielt sich Luther wegen der über ihn verhängten Reichsacht auf der Veste Coburg auf, der südlichsten Burg in sächsischem Besitz, während er In Augsburg durch Philipp Melanchton vertreten wurde. (Die Zeit nach dem Reichstag in Worms 1521 hatte Luther auf der Wartburg bei Eisenach verbracht, wo er seine Übersetzungsarbeiten vornahm.) Im Verlaufe seines fünfmonatigen Aufenthaltes in Coburg verfasste er nun gleichfalls eine große Anzahl von Schriften, u.a. die Skizze „Peri tes musikes“ (Über die Musik). Dort heißt es:
„Ich liebe die Musik, und es gefallen mir die Schwärmer nicht, die sie verdammen, weil sie
- eine Gabe Gottes und nicht der Menschen ist,
- weil sie die Seelen fröhlich macht,
- weil sie den Teufel verjagt,
- weil sie unschuldige Freude weckt.
Darüber vergehen die Zorneswallungen, die Begierden und der Hochmut.
- Weil sie in der Zeit des Friedens herrscht…“ /24/.
Nicht alle protestantischen Theologen teilten diese Auffassung, so die Vertreter der reformierten Glaubensrichtungen oder die sogenannten „Schwärmer“. Als Schwärmer werden z.B. der Wittenberger Professor Karlstadt oder Thomas Müntzer bezeichnet. Es findet sich wie bei diesen aber schon in antiken Schriften die Tendenz, das Sinnliche gegenüber dem Geistlichen als eher minderwertig zu sehen, und das Vermögen der Musik,
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Affekte zu erregen, zu Gunsten eines innerlich-geistigen Glaubensverständnisses abzulehnen, zu befürchten, dass ästhetischer Genuss den Inhalt verdrängen könnte.
So verbannte auch der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli (1484 – 1531) Bilder und Musik aus der Kirche. Er tat dies, obwohl er selbst musikalisch gebildet und vielseitig, sogar der Gründer einer Musikschule war, indem er die Musik aber dem Weltlichen und Untugendhaften zuordnete, in der Kirche vom „rechten Glauben“ ablenkend.
Johannes Calvin (1509 – 1564), Reformator französischer Abstammung, wünschte sich zwar wie Luther eine singende Gemeinde, bevorzugte jedoch den einstimmigen unbegleiteten Psalmengesang. Wie Zwingli für ein Bilderverbot eintretend, konzentrierte er sich auf die worttragende Funktion der Musik, wonach auch die Instrumentalmusik in der Kirche vermieden werden sollte, ein „Ästhet der Beschränkung“. Anders als Luther ordnet er das Singen dem Beten zu, während für diesen der Gesang auch der Verkündigung dient, übertrug er doch nicht nur die Bibel in die deutsche Sprache, sondern auch theologische Erkenntnisse und religiöse Inhalte in Lieder. In der Vorrede zum Wittenberger Gesangbuch von 1524 schreibt er bereits: „Auch dass ich nicht der Meinung bin, dass durchs Evangelion sollten alle Künste zu Boden geschlagen werden und vergehen, wie etliche Abergeistliche fürgeben, sondern ich wollte alle Künste, sonderlich die Musica, gerne sehen im Dienste des, der sie geben und geschaffen hat“/25/. Er hieß die Musik also in der Kirche willkommen und wirkte hinein in eine reiche kirchenmusikalische Tradition, welche aus dem griechischen, syrischen und jüdischen Tempelgesang des Altertums hervorgegangen war und, wenn auch nicht problemlos, „heidnische“ bzw. weltliche Elemente wie den Gebrauch von Musikinstrumenten und damit auch die innerhalb der byzantinischen Hofmusik und anderen weltlichen Bereichen gebräuchliche Orgel übernommen sowie Priester- und Chorgesänge hervorgebracht hatte. Luther entwickelte aber nicht nur sein besonderes Musikverständnis. Er hatte auch die Fähigkeiten und Fertigkeiten, es in die Praxis umzusetzen, war mit seiner Tenorstimme ein guter Sänger, der auch Querflöte spielte und nicht selten zur Laute griff, um seine Lieder im Freundes- oder Familienkreis einzubringen. Es ist anzunehmen, dass er mit der damals üblichen Lautentabulatur umging , einer Griffschrift, die Zahlen und Buchstaben sowie Zeichen für die Tonlänge verwendete /26/. Auch seine Kompositionen mögen oftmals unter Hinzuziehung der Laute entstanden sein.
Während es in den verstreuten frühen christlichen Gemeinden bereits eine Gesangspraxis gegeben hatte, abhängig von den örtlichen Traditionen, sangen später, in der Zeit vor der Reformation, im Gottesdienst ausschließlich Geistliche und Chöre (die sogenannte Schola). Allerdings finden wir damals auch geistliche Lieder in den Volkssprachen innerhalb der Vagantendichtung und bei geistlichen Spielen, Prozessionen und Wallfahrten. Luther schuf nun aus freudigem oder schmerzlichem Anlass Neues – Gesänge, eine Bezeichnung , die auf alles Gesungene zutrifft, Choräle, womit ehemals einstimmiger Kirchengesang gemeint war (gregorianischer Choral); bei Luther werden nun auch Gemeindelieder als Choräle bezeichnet und besonders Lieder, d.h. Gesänge in schlichter lyrischer Form. So entstanden
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biblische Erzähllieder, geistliche Kinderlieder, Liebeslieder, Trauergesänge, auch ein Lied zur Marienverehrung und die Vertonung der 10 Gebote. Er sagt selbst:“ Ich habe etliche geistliche Lieder zusammengebracht, da ich gerne wollte, dass die Jugend etwas hätte, um von ihren Buhlliedern und fleischlichen Gesängen loszukommen und an deren Stelle etwas Heilsames zu lernen“ /27/. Vor Allem ging es ihm aber um die Einbeziehung des Gemeindegesanges, der Choräle, in den Gottesdienst, was zu einem Kennzeichen der evangelischen Gemeinde wurde. Diese Einbeziehung geschah mit einem Eingangslied, dem Wechselgesang zwischen Epistel und Evangelium sowie der Umrahmung der Predigt. Natürlich musste die Gemeinde zu der neuartigen Gesangspraxis erst einmal ermutigt werden. Es ist auch überliefert, dass Luther zornig reagieren konnte, wenn die Männer in der Kirche bei den Psalmen und geistlichen Liedern „brummten, blökten oder murmelten“, die Chorsänger „brüllten oder schrien“ /28/. Was würde Luther aber zu unserem heutigen Gemeindegesang sagen, der sich oftmals dünn und zögerlich anhört.
Luthers musikalische Autorschaft ist nicht immer sicher aber oft wahrscheinlich, z.B. bei dem Lied „Nun freut euch, liebe Christengmein“ von 1523. Ihm wird auch eine kurze Motette über den 118. Psalm zugeschrieben, also eine mehrstimmige Vokalmusik. Nach Ideen Luthers erfolgte zudem oft die Notation oder die Ergänzung einer Melodie um weitere Stimmen durch den Kantor Johann Walter /29/ und andere. Walter weilte z.B. im Jahre 1525 für drei Wochen in Wittenberg, um mit Luther an dessen Texten und Melodien zu arbeiten /30/. Es mag jedoch sein, dass Luthers persönlicher musikalischer Einfluss insgesamt und insbesondere seine Rolle bei der Förderung des Gemeindegesanges in späteren Jahrhunderten ausgeschmückt bzw. überbewertet wurde.
Über die beschriebene Arbeitsweise hinaus wirkte Luther, indem er
– ihm überkommene Psalmen, also Loblieder mit gehobenem Leseton, die zu einer wichtigen Inspirationsquelle wurden, zu Liedern in Strophenform umgestaltete, wie bei dem Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“, der sich zudem inhaltlich an den 46. Psalm anschließt und hinsichtlich der Melodie an die „Silberweis“ von Hans Sachs,
– altkirchliche Hymnen ins Deutsche übertrug, d.h. festliche geistliche Gesänge, deren Text nicht der Heiligen Schrift entstammte, welche aber in die Liturgie übernommen waren, so „Christ lag in Todesbanden“ (Evangelisches Gesangbuch Nr.101) nach der Sequenz „Victimae Paschali Laudes“ und „Christ ist erstanden“ (EG Nr.99) , welches Luther besonders schätzte /31/ oder „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ (EG Nr.126) nach dem Hymnus „Veni Creator Spiritus“,
– lateinische Liturgiegesänge wie die Antiphon (den Wechselgesang) „Da Pacem, Domine“ aus dem 9. Jahrhundert bearbeitete und zu dem Choral „Verleih uns Frieden gnädiglich“ umgestaltete,
– deutschsprachige Leisen, wie sie bei Prozessionen und Wallfahrten erklungen waren, mit neuen Strophen erweiterte („Gelobet seist du, Jesu Christ“, EG Nr. 23) oder indem er
– bekannte Volkslieder bzw. weltliche Melodien mit einem geistlichen Text versah (Kontrafaktur), welche er damit „dem Teufel entriss“. So wurde z.B. aus dem Bänkellied „Ich
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kam aus fremden Landen her“ und damit einer Singepraxis, mit welcher aktuelle Ereignisse vorgetragen wurden, das Weihnachtslied „Vom Himmel hoch da komm ich her“.
Dabei schaute er „dem Volk aufs Maul“ und erreichte mit seiner volkstümlichen, derben Sprache und mit lebhaften Bildern bisher kaum einbezogene Bevölkerungsgruppen. Selbst die Messgesänge sollten nun in deutscher Sprache erfolgen /32/. Damit machte er der Gemeinde die gemeinschaftbildende Kraft und die Wirkung des Singens erlebbar. Auch auf die Wechselwirkung mit den anregenden Liedern der Täuferbewegung mag an dieser Stelle hingewiesen werden.
Die Gemeinde sang damals stehend und ohne Instrumentalbegleitung. Den Gemeindegesang zu begleiten kam nicht vor dem 17. Jahrhundert auf, wie auch die Bezeichnung Kirchenlied. Während die Orgel zuvor bei der Messe, dem Responsorium oder zum Präludium verwendet worden war, erweiterte sich dann ihr Repertoire in Richtung der Begleitung deutscher Kirchenlieder und der Choralvorspiele.
Luthers Schriften und Choräle fanden schnelle Verbreitung. Sie waren jedoch nicht nur Kirchengesänge im engeren Sinne, sondern wurden nicht selten zu Kampf- und Massenliedern in den Kämpfen der Zeit. Der Reformator benutzte die Liedkunst ja zunächst selbst zur Propagierung der neuen Lehren und erst dann zur Erneuerung des Gottesdienstes. Die Verbreitung erfolgte abgesehen von den Gottesdiensten vor allem durch das zur Verfügung stehende Druckverfahren auf Holzschnittbasis und bald unter Verwendung beweglicher Lettern. Nachdem Thomas Müntzer 1523 bereits deutsche Übertragungen lateinischer Hymnen veröffentlicht hatte, entstanden nun aus dem Wittenberger Kreis heraus bald Einblattdrucke und Liederbücher, wie
– das „Achtliederbuch“ (Nürnberg 1523/24), das 4 Lieder Luthers enthielt,
– ein Enchiridion oder Handbüchlein von 1524 mit 18 Liedern Luthers,
– Johann Walters „Geistlich Gesank Buchleyn“ mit einem Vorwort von Luther (1524), ein Chorgesangbuch, wo Walter Luthers Melodien weitere Stimmen hinzufügte und das 24 Lutherlieder enthält,
– 2 Liederbücher aus Erfurt (1524),
– ein Enchiridion geistlicher Gesänge und Psalmen für die Laien 1525, bewusst einstimmig gehalten,
– „Geistliche Lieder aufs Neu gebessert“ , 1529 und zudem mit weiteren Ausgaben 1535, 1543 und 1544, 28 Lieder oder Gesängen Luthers enthaltend, u.a. mit „Ein feste Burg…“ /33/ und schließlich
– Geistliche Lieder . Mit einer neuen Vorrede. D. Martin Luther 1545. Im gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuch finden wir 34 (also nicht alle) Lieder oder Gesänge Luthers: 16, wo Text und Musik auf ihn zurückgehen; bei 3 liturgischen Gesängen ist es die Musik, die von Luther stammt, und für weitere 15 ist er der Textautor /34/.
Die Notation der einstimmigen Lieder erfolgte in der Notationsweise, wie sie sich für die gregorianischen Choräle um das Jahr 1000 n. Chr. aus den Neumen entwickelt hatte
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(Choralnotation). Sie legt zwar die Tonhöhe fest, nicht aber die Tondauer, welche sich aus dem Text ergab. In der polyphonen Vokalmusik war dagegen um das Jahr 1500 die Weiße Mensuralnotation gebräuchlich, welche Tonhöhe und Tonlänge festlegte, nicht aber den Takt. Auch für die Notation der Choräle der Reformationszeit, also für einstimmige Gesänge, kamen bald die Noten der weißen Mensuralnotation zur Anwendung. Instrumentalmusik wurde dagegen in Tabulaturen mit Hilfe von Griffschriften notiert (Auch bei der Liednotation der Meistersinger wird der Begriff Tabulatur benutzt) ; Taktstriche und damit die Vermittlung von metrischen Schwerpunkten kamen erst, aus der Instrumentalmusik stammend, im 17. Jahrhundert auf, als sich aus den unterschiedlichen Notationstraditionen unsere heute noch gebräuchliche Notenschrift herausbildete.
Luther schrieb natürlich im Stil seiner Zeit. Eine Analyse seiner Lieder und Gesänge zeigt dabei seine freie Verwendung des überkommenen geistlichen und weltlichen Materials, während er hinsichtlich des Strophenaufbaus, der Metrik und des Wort-Ton-Verhältnis den Meistersingern nahe kommt. Was den formalen Aufbau betrifft, so handelt es sich darum auch häufig um die Barform (Stollen, Stollen, Abgesang) oder eine zweiteilige Liedform. Ferner zeigen sich seine sorgfältige Deklamation und die offenbar zielorientierte Verwendung der verschiedenen, auch modalen Tonarten sowie der überlegte Einsatz von wiederkehrenden Melodietypen und wellenförmiger Melodik. Es scheint sich jedoch bei ihm, wie auch bei Zeitgenossen, eine Tendenz zu Dur/Moll herauszubilden. Schlagen hier etwa volkstümliche Gesangsweisen durch? Zahlreiche Anhänger Luthers und der Reformation wirkten auf ihre Weise bei der Entwicklung der neuen Kirchenmusik mit, schon zu seinen Lebzeiten , so
– Philipp Melanchton (1497 – 1560), Reformator und Neffe des schon genannten Johannes Reuchlin, der wie Luther Musik als Bestandteil der kosmischen Ordnung auffasste und auch als Schlüssel zur menschlichen Seele, als einen möglichen Zugang zur biblischen Botschaft,
– Johann Bugenhagen (1485 – 1558), Reformator, Vertrauter und Beichtvater Luthers, der auch Luthers Ehe schloss, seine Kinder taufte und schließlich seine Grabrede hielt,
– Johann Walther (der Ältere; 1496 – 1570), Kantor in Torgau und später Kapellmeister in Dresden, der Luther in Fragen der Kirchenmusik beriet , Liederbücher herausgab, nicht selten von Luther erdachte Melodien notierte und auch Bläsermusiken einbrachte; weitere wichtige Musiker bzw. Kantoren waren Conrad Rupsch (1475 – 1530) aus Altenburg , Sixt Dietrich (1490/95 – 1548) aus Augsburg, Martin Agricola ( 1486 – 1556) aus Magdeburg /35/ und Balthasar Resinarius (um 1486 – 1544) aus Böhmen,
– Georg Rhau (1488 – 1548) – aus Eisfeld stammend, Thomaskantor, Pädagoge, Drucker und Verleger, dessen Arbeiten, auch die Musikdrucke, große Bedeutung für die Verbreitung der Gedanken und Absichten des Kreises um Luther erlangten, wichtig auch seine „Gesänge für die gemeine Schule“ von 1544,
– Lucas Cranach der Ältere (um 1472 – 1553), mit dem Luther in Wittenberg in engem Kontakt stand und der u.a. auch Portraits von Luther, Melanchton , Katharina von Bora und weiteren wichtigen Persönlichkeiten der Reformation schuf und nicht zuletzt,
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– Katharina (1499 – 1552), Luthers tüchtige Ehefrau, die trotz ihrer vielen Pflichten in dem großen lutherschen Haushalt mit Kindern, Kostgängern und oft zahlreichen Gästen, ihrem Ehemann Vertraute und Ratgeberin war, seine Aktivitäten absicherte und noch Zeit für die abendliche Hausmusik fand.
In der Stadt übten Studenten, Lateinschüler und auch Bürger bei gottesdienstlichen Verpflichtungen und Festakten bald einen lebhaften Chorgesang aus, dies bei Tendenzen zu Mehrstimmigkeit und verstärktem Orgeleinsatz. Luther schuf selbst, wie schon dargelegt, Lieder und Gesänge für den Gottesdienst und darüber hinaus, welche oft bis heute in Gebrauch sind, während andererseits die Verbindung zwischen Reformation und niederländischer Mehrstimmigkeit zu kunstvollen mehrstimmigen Kompositionen führte. Auch hier wirkten Luthers Grundgedanken: Musik als Abbild der himmlischen Ordnung, Teil des lebendigen Wesens des Evangeliums, Beförderung der Mission und Aktivierung der Gemeinde. Auch nach dem Tode des Reformators, der am 18. Februar 1546 in Eisleben starb, jedoch in Wittenberg begraben wurde, wirkten seine Auffassungen fort. Bald schuf eine Vielzahl engagierter, schöpferischer, übergreifend und regional wirkender Dichter und Musiker in der Nachfolge und in seinem Sinne neue Lieder und Liederbücher, mehrstimmige Chorsätze, Bläsermusiken, Choralvorspiele und Choralbearbeitungen, Motetten, Passionsmusiken, Kantaten und Oratorien sowie geistliche Konzerte.
So wurde Luthers Protestantismus zu einem Geschenk für die europäische Kultur, und die große Entwicklung der evangelisch-lutherischen Kirchenmusik beeinflusste nun alle geistlichen Richtungen, die sich um das Evangelium mühten, so die Gegenreformation der katholischen Kirche sowie die reformierten protestantischen Strömungen, welche die Musik nun in ihrem Sinne zu nutzen suchten /36/. Sie wirkte zudem auf die höfische Musik und das europäische Musikschaffen überhaupt, bis hin zu Ansätzen der gegenwärtig praktizierten Musiktherapie und hier nicht allein die gemeinschaftsbildende Kraft und die Wirkung des Singens betreffend.
Von den unzähligen Persönlichkeiten unserer Musikgeschichte sind leider nur noch wenige im öffentlichen Bewusstsein, vielleicht Michael Praetorius (1571 – 1621), Heinrich Schütz (1585 – 1672), Paul Gerhardt (1607 – 1676), Dietrich Buxtehude (1637 – 1707) und natürlich Johann Sebastian Bach (1685 – 1750), dessen Werke zu Erfüllung dessen wurden, was evangelischer Kirchenmusik möglich schien, bald aber auch angefochten infolge pietistisch-theologischer Einflüsse und dem Aufkommen des Galanten und des Empfindsamen Stils in der Musik.
So rieben sich die von Luther ausgehenden Impulse an den jeweiligen geistigen und musikalischen Strömungen, bestätigt z.B. durch die Humanismusvorstellungen Johann Gottfried Herders (1744 – 1803), sah dieser doch die Menschen als zur Freiheit und zur Humanität gebildet, wogegen die im 19. Jahrhundert aufkommende individuelle Zurückgezogenheit eher beeinträchtigend wirkte, kann sich doch ein Individuum nur vor dem Hintergrund von Gemeinschaften entfalten.
Während Musiker des 18./19. Jahrhunderts als Bestandteil ihres Gesamtwirkens auch
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beeindruckende geistliche Werke schufen, die jedoch nicht der Reformation im engeren Sinne geschuldet waren, kam es zu einer Tendenz der Wiedergewinnung altevangelischer Werte mit musikalisch-stilistischen Merkmalen der Zeit vor Aufklärung und Klassik. Erinnert sei auch an die verdienstvollen Wiederaufführungen Bachscher Werke durch Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) oder an das Orgelschaffen Max Regers (1873 – 1916), der Bachsche Form und zeitgenössische Harmonik verband. Denken wir schließlich an die Erneuerungsbewegung des 20. Jahrhunderts und hier an Hugo Distler (1908 – 1942) mit seiner unabhängigen Linienführung zu Lasten der vertrauten Harmonik, mit modalen und pentatonischen Elementen, dessen Arbeit vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Ideologie und Machtausübung stattfand.
In der Gegenwart wirken die Werke des traditionellen musikalischen Erbes noch unmittelbar, damit auch Luthers Hinterlassenschaft, obgleich sich nach Veränderung von Hör- und Musiziergewohnheiten der potentiellen Nutzer letztlich der gesellschaftlichen Entwicklung und damit ihrer medienverursachten, globalisierten und schulischen Prägungen Abstand zeigt, sich die Inflationierung und Allgegenwart von Musik und ihrer oberflächlichen Rezeption auswirkt, sich Schlager, Jazz und Rock auch in der Kirchenmusik niederschlagen. So zeigt sich eine Tendenz, Lutherchoräle in der Kirchenpraxis zu vermeiden, nicht nur aus inhaltlichen, sondern auch aus musikalischen Gründen. Während es sich bei diesen und bei den Kompositionen der unmittelbaren Nachfolger Luthers nämlich um kräftige, herbe Gesänge handelt, die inhaltsbezogen noch vielfältige modale Tonarten verwenden, kam es später eher zu spannungsarmem Dur- oder seltener Dur-Moll-Gesang. Aber: Wie ließe sich der Gottesdienst heute im Lutherschen Sinne musikalisch beleben? Welcher Musikgeschmack erreicht die Heranwachsenden? Schauen wir z.B. in das Liederbuch „Berliner Lieder“ vom Strube Verlag, das in der Gemeindearbeit mit Jugendlichen entstanden war und moderne Kirchenlieder enthält, welche die Spuren von Jazz, Country, Folk und Pop tragen, z.B. riffartige Einwürfe, viele Synkopen sowie Pausen mit instrumentalen „Zwischenrufen“ /36/. Sehen wir auch die evangelischen Pop-Akademien und die Popmusik auf Kirchentagen, ein Luther-Musical der Uckermärkischen Bühnen Schwedt im Juni/Juli 2017 sowie einen gigantischen Chor von 2500 Sängerinnen und Sängern, die sich selbst ihr Publikum sind und das Pop-Oratorium „Luther“ gestalten (Text: Michael Kunze Musik: Dieter Falk), ein Großprojekt der evangelischen Kirche zum Jubiläum, welches im Januar 2017 in Hannover realisiert worden war und in der Folge in anderen deutschen Städten.
Wir schöpfen hier einerseits aus Luthers Offenheit für Neues und andererseits aus dem „musikalischen Zeitgeist“, der geprägt ist von Manipulation, Massenverhalten und dem Streben nach „Selbstverwirklichung“. Ist Musik also grundsätzlich zu einer inhaltlichen Aussage fähig, so ist zu fragen, inwieweit theologische Inhalte, welche Luther ja der Musik einräumt, wirklich mit dieser Musik transportiert werden und sie heutige spirituelle Suche befördern kann.
Stellen wir uns abschließend nochmals die möglichen Musikszenen vor, wie sie aus dem
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Thema hervorgehen:
Der Schüler Martin nimmt an häuslichem Musizieren teil und singt im Unterricht in Mansfeld, Magdeburg und Eisenach, er übt sich bei Kurrende und geselligem Singen, der Student spielt Querflöte (Traversflöte) und Laute, später auch im Familienkreis, der Reformator arbeitet mit dem Kantor Johann Walter aus Torgau an seinen Melodien, die Gemeinde singt seine Choräle im Gottesdienst und stimmt sie auf öffentlichen Plätzen an…
Kommen wir zum Schluss: Wie wirkt Luther heute? Luther wirkt noch direkt, eher bei historischem Umgang, ferner über seinen Einfluss , den er auf das europäische Musikschaffen ausgeübt hat und bis heute durch flexible Anwendung seiner Grundgedanken sowie durch übergreifende Werte wie Tradition, Gegenwartsverbundenheit und Volksnähe.
Anmerkungen:
1) Luthers Tischreden, herausgegeben von Reinhard Dithmar, Wartburgverlag 2010, S. 173-175.
2) G.A. Obstfelder:“ Chronik der Stadtkirche St. Georg in Schmalkalden“, 1909 bei Feodor Willisch.
3) Schmalkaldische Geschichtsblätter Bd. 3 und 4.
4) Geisthirt, Johann Conrad: Historia Schmalcaldica, Schmalkalden und Leipzig 1881 (in Kommission bei Feodor Willisch, Nachdruck 1992, Buch 3, Kap. IV-VII
5) Der Landgraf Mauritius (Moritz; 1572 – 1632), zunächst um Einigkeit unter den Theologen bemüht, war umfassend und auch musikalisch gebildet, ließ sich in Schmalkalden auf der Orgel hören, unterhielt in Kassel eine leistungsstarke Hofkapelle, komponierte selbst und förderte den jungen Heinrich Schütz , indem er ihm ein Studium in Italien ermöglichte. Andererseits brachte er aber als evangelisches Kirchenoberhaupt 1605 in Marburg eine Reihe von „Verbesserungspunkten“ reformierten Inhalts ein. Sie betrafen u.a.
– den Umgang mit überlieferten geistlichen Texten, d.h. im Sinne von Originaltreue möglichst wenig außerbiblische Elemente einzubeziehen,
– Auffassungen zum heiligen Abendmahl, Brot und Wein als Zeichen und Zeugnis der Gegenwart Christi zu verstehen und nicht von der wirklichen Gegenwart Christi auszugehen, zudem keine Hostie zu verwenden, die in jüdischer Tradition aus ungesäuertem Brot bestand, vielmehr gesegnetes Weißbrot aus gewöhnlichem Brotteich und
– das schon zur Lutherzeit diskutierte Bilderverbot in der Kirche durchzusetzen, d.h. die noch vom Papsttum überkommenen „Reste“ zu beseitigen.
In Zusammenhang mit derartigen Tendenzen ist auch zu sehen, dass reformiertes Gedankengut eine gegenüber Luthers Musikauffassungen einschränkende Rolle spielte.
6) Es gibt unterschiedliche Schreibweisen des Namens, so zunächst Luder und erst nach Änderung Martin Luther. 7) Hier handelt es sich um eine in der Spätantike und im frühen Mittelalter verbreitete Religion, die auf ihren Gründer, den Perser Mani (216 – 276/77) zurückgeht, der für Askese eintrat und einen Dualismus zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis lehrte. Er war in einer Gemeinschaft christlicher Täufer aufgewachsen, von denen er sich aber trennte, um eigene Wege zu gehen, sich dabei auf göttliche Offenbarung berufend; Mani sah sich als Vollender früherer Religionen, auch des Christentums.
8) Luthers Tischreden, a.a.O. S. 169,170.
9) Zu den Meistersingern: Puschmann erfasste in seinem Singebuch Meistersinger wie Heinrich Frauenlob, Heinrich Mügling, Conratt Marner, Sebastian Wilde, Lenhart Nunnenbeck, Hans Sachs und zahlreiche weitere. Er nennt auch die „Töne“ des Hans Sachs, so die Siberweis, den Güldenton, die Hohe Bergweis, die Morgenweis, die Gesanckweis, den Kurze(n) Ton, den Lange(n) Ton, den Neue(n) Ton und den Bewährten Ton. Den Titel eines Meisters erhielt derjenige, der einen neuen „Ton“ mit eigenem Text schuf, welcher genauen Regeln entsprach. Die Notationsweise der Minnesänger finden wir in der Musikgeschichte in Bildern: „Das Schriftbild der
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einstimmigen Musik“ von Bruno Stäblein, Leipzig 1975. Bd. 3/4, Leipzig 1975, Abb. 68 und 84.
10) Hans Sachs , der die Reformation mit seinen Schriften unterstützte, schrieb 1523 das Gedicht „Die wittenbergisch Nachtigall die man yetzt höret überall“.
11) Siehe die Notation eines Vokalwerkes von Jacob Obrecht aus Anlass der Hochzeit von Kaiser Maximilian I. 1493. In: Musikgeschichte in Bildern Bd. 3/5, Abb. 57a und b.
12) Notenbeispiel von H. Isaak aus dem Jahre 1550 in der Musikgeschichte von H.A. Brockhaus, Bd. 1, S. 526.
13) Siehe das Schriftbild eines Werkes von Josquin Deprez in weißer Mensuralnotation in Musikgeschichte in Bildern Bd. 3/5, S. 118 Abb. 59.
14) Andreas Pavles in Wikipedia.
15) Luthers Tischreden, a.a.O. S. 68
16)Luthers Tischreden , a.a.O. S. 172, 173.
17) Zitiert nach Kirbach und Thielmann: Tausend Sänger…In: Die Zeit, 12.01.17.
18) Johann Hinrich Claussen, erwähnt in: A.a.O.
19) Martin Luther : Lektüre für Augenblicke. Hg. Walter Sparn, Frankfurt 1983, S. 37.
20) Luthers Tischreden, a.a.O. S. 76.
21) Siehe Luthers kleine Teufeleien, Hg. Thomas Kluge, Insel Verlag 2016, S. 129.
22) Stephan Schaede: Luther und die Musik in Wikipedia.
Vgl. zudem Wilkes, Johannes: Ich singe dir mit Herz und Mund vom Brunnen-Verlag.
23) Luther zum Vergnügen. Hg. Johannes Schilling, Stuttgart 2008, S. 6.
24) Reiner Preul: Luthers Musikverständnis (Übersetzung nach Oscar Söhngen), Wikipedia
25) Vgl. Luthers Vorrede zum Gesangbuch 1524 und seine Schriften „Encomion psalterum“ und „Encomion musices“ 1538; siehe auch Martin Schlotz in Wikipedia.
26) Das Beispiel einer deutschen Lautentabulatur, welche Luther wahrscheinlich verwendete findet sich bei Apel, Willi: Die Notation der polyphonen Musik Leipzig 1962, S. 85.
27) Martin Luther: Aus rechter Muttersprache. Hg. Walter Sparn, Frankfurt 1983, S. 42.
28) Luthers Tischreden, a.a.O. S. 175, S. 90/91.
29) Siehe die Notation des Liedes „Ach Gott im Himmel, sieh darein“ von Johann Walter in der Musikgeschichte in Bildern Bd. 3/5, S. 150, Abb. 85 a – d.
30) Wikes, Johannes a.a.O. S. 80
31) Luthers Tischreden. a.a.O. S. 63
32) Siehe hierzu ein Notenbeispiel Luthers in der Musikgeschichte von H.A. Brockhaus, Bd. 1, S. 479
33) In Luthers Choral „Ein feste Burg…“ finden sich Anklänge an die „Silberweis“ von Hans Sachs, z.B. die wiederkehrende Abwärtsbewegung wie bei „unser Gott“ und an weiteren Stellen. Die „Silberweis“ ist in der Zwickauer Handschrift enthalten, eine der Schriften mit Minnesängerliedern. Die genannte Wendung tritt allerdings auch in anderen Weisen von Sachs auf, z.B. im „Güldenton oder im „Bewährten Ton“, gleichfalls im „Strengen Ton“ von Hans Vogel. Offenbar handelt es sich um eine zu Beginn des 16. Jahrhunderts verbreitete Wendung. Während die „Silberweis“ in äolischer Tonart steht, erfolgte bei Luther eine Anpassung an Ionisch (Dur). Es wird deutlich, wie sich der lutherische Text, verglichen mit der „Silberweis“, auf die Tonlängen auswirkt.
34) Lieder und Gesänge Luthers nach dem Evangelischen Gesangbuch von 1994:
Text und Musik: Nr. 341, 273, 299, 4, 126, 101, 102, 519, 191, 192, 362, 421 (784.10),24, 193, 202 und 344;
Musik: 149, 178,3 und 190,2;
Text: 280, 297, 23, 124, 125, 214, 518, 138, 183, 215, 231, 25, 319, 470 (785,5) und 520.
35) Weitere in unserem Zusammenhang wichtige Personen mit dem Namen Agricola waren Johann Agricola, ein Vertrauter Luthers und Mikael Agricola , ein finnischer Reformator, der in Wittenberg studiert hatte.
36) Siehe im katholischen Bereich den Vokalstil des Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525 – 1594) oder das Aufkommen der Praxis, zur Förderung der Kirchenmusik Cäcilienvereine zu gründen (nach der heiligen Cäcilia, der Schutzpatronin der Kirchenmusik).
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36) Vgl. „Berliner Lieder“, Liederbuch vom Strube Verlag, 2015,Herausgeber:Günter Brick, Marc Kurepkat und Olaf Trenn).
Quellen:
Apel, Willi: Die Notation der polyphonen Musik, Breitkopf und Härtel Leipzig 1962.
Adrianus Petit Coclico: Leben und Beziehungen eines nach Deutschland emigrierten Josquinschülers. Martinus Nijhoff, 1940, S. 77.
Berühmteste Choräle Luthers, CD VKJK 1517, GEMA, DDD.
Brockhaus, H. A.: Europäische Musikgeschichte Bd. 1, Berlin 1983.
Die schönsten Choräle von Martin Luther, 2 CD-Nr. 98.101 LC6047, AAD.
Dithmar, Reinhard (Herausgeber), Luthers Tischreden, Wartburgverlag 2010.
Evangelisches Gesangbuch, Stuttgart 1994.
Geisthirt, Conrad: Historia Schmalkaldica, Schmalkalden 1992.
Heilmann, Anja: Boethius` Musiktheorie und das Quadrivium, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2007.
Hentschel, Frank, in: MGG Bd. I S. 1169 – 1175, ferner: MGG Bd. I S. 589 – 59.
Jenny, Markus: Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Bd. 35 der Weimarer Ausgabe, Köln 1985.
Jöde, Fritz, in: Zeitschrift für Spielmusik, Vorwort zu Bicinia Germanica (1545, Georg Rhau).
Jöde, Fritz: Frau Musika – ein Singbuch fürs Haus, Deutsche Buchgemeinschaft GmbH 1929, Vorwort.
Kirbach, Roland und Thilmann, Wolfgang: Tausend Sänger für ein Halleluja, In: Die Zeit, 12. ß1.2017
Kluge, Thomas (Hg.): Luthers kleine Teufeleien, Insel Verlag Berlin 2016.
Lexika: MGG Bd. 1, Bärenreiterverlag Kassel; Knauers Musiklexikon von R.E. Moritz, München 1982; Musiklexikon von H.J. Moser, Berlin 1934; Musikliexikon von Horst Seeger, Leipzig 1966.
Liliencron, Rochus von: Deutsches Leben im Volkslied um 1530, Union Deutsche Verlagsgesellschaft
Stuttgart.
Musikgeschichte in Bildern, Bd. 3 Lieferung 4 un5, Leipzig 1975.
Münzer, Georg ( herausgegeben 1906): Das Singebuch des Adam Puschmann nebst Originalmelodien des Michael Behaim und Hans Sachs, Georg Olms Verlag Hildesheim u.a. 1970.
Preul, Reiner: Luthers Musikverständnis (Übersetzer: Oscar Söhngen), Wikipedia
Quadrivium, Librero 2015; Einführung von Keit Critchlow, S. 3ff.; Buch IV von Anthony Ashton, S. 181 ff.; Buch V von Jason Martineau, S. 237 ff.
Roper, Lyndal: Der Mensch Martin Luther. Die Biographie, S. Fischer-Verlag 2013.
Schlüter, Marie: Die Musikgeschichte Wittenbergs im 16. Jahrhundert, Vandenhoeck 2010.
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Stalmann, Joachim, in: MGG Bd. 11 S. 636 -654; siehe zu den Werken Luthers MGG Bd. 11 S. 640 ff.
Schmalkaldische Geschichtsblätter Bd. 3,4 und 6.
Wikipedia u.a. mit Beiträgen von Schaede, Stephan; Schlotz, Martin; Müller Schmied, Martin und Pawles, Andreas.
Wilkes, Johannes: Ich singe dir mit Herz und Mund, Brunnenverlag.